Der Weg in die Zukunft: sozial oder digital?
Wie kann es sein, dass seit Jahren über Digitalisierung gesprochen wird, aber viele Institutionen immer noch mit Stift, Papier und Faxgerät arbeiten? Wie kommt es, dass sich technische Neuerungen auf dem Weg zur digitalen Arbeit überschlagen, aber der Mensch dabei in den Hintergrund rückt? Wie sieht die Welt von morgen aus? Technokratische Apokalypse, digitalverdrossene Retrospektive oder doch sozial-digitale Symbiose? Der Change Hub in Berlin stellt mit seiner Auftaktveranstaltung die großen Fragen der Gegenwart. Die immer bedeutendere Frage nach der Vereinbarkeit von Sozialwirtschaft und Digitalisierung steht dabei im Mittelpunkt der Veranstaltung und der Ausrichtung des Change Hubs. In der Online-Konferenz stellt sich das 2019 gegründete Unternehmen vor und lädt Gäste zur gemeinsamen Diskussion ein.
Change Hub: co-creating social impact
Am dritten Februar fand das Auftakt-Event der Change Hub GmbH in einer Onlinekonferenz statt. Neben dem Geschäftsführer Dr. Malte Frederik Möller und dem Vorstandsvorsitzenden der Evangelischen Bank Thomas Katzenmayer waren einige spannende Gäste eingeladen. Mit der Auftaktveranstaltung gab die Tochterfirma der evangelischen Bank den Anstoß für den Aufbau einer sogenannten Social Impact Community. Die zugrundeliegende Motivation dafür und weitere Hintergründe zur Change Hub GmbH werden wir in einem separaten Blogbeitrag nächste Woche beschreiben. Nachfolgend berichten wir über unsere Highlights der Veranstaltung.
Das virtuelle Auftakt-Event
Inspirationen aus der Familie Horx
Wer könnte besser die Chancen und Risiken zukünftiger Herausforderungen illustrieren als ein Zukunftsforscher? Der aufschlussreiche Start in die Veranstaltung war dem Keynote Speaker aus der Familie Horx zu verdanken. Zwar war nicht, wie zunächst angekündigt, Matthias Horx zu sehen, dafür aber sein Sohn Tristan Horx. Das hat jedoch dem Vortrag keinerlei Abbruch getan. Matthias Horx ist der Gründer des Zukunftsinstituts. Er und sein Sohn gelten als renommierte Sprecher zu den Themen Trend- und Zukunftsforschung.
Von Trends und Megatrends
Tristan Horx schlägt in seiner Präsentation einen weiten Bogen von der Kategorisierung und Kartografie von Trends über die Erwartbarkeit der Zukunft bis zur Vereinigung von Digitalisierung und Re-Humanisierung. Er beginnt seine Ausführungen mit der Beschreibung von Trends und führt auf, dass sich aus Sicht der Zukunftsforschung gesellschaftliche Entwicklungen in sogenannte Megatrends einteilen lässt. Diese Megatrends bestehen über einen langen Zeitraum von über 25 Jahren und bestimmen die verschiedenen Bereiche des Lebens. Diese seien untereinander eng vernetzt und kaum losgelöst voneinander zu betrachten. Aber auch in kleineren Skalen können Entwicklungen laut Horx in Trends bemessen werden. Dabei sei es wichtig zu verstehen, dass jeder Trend einen Gegentrend hervorrufe. Entsprechend führt er aus, dass wir unsere Vorstellung von Zukunft fälschlicherweise meist in linearen Entwicklungen projizieren. Tatsächlich entwickle sich die Zukunft aber in Schleifen, sogenannten Rekursionen. Diese Schleifen seien ein Ergebnis des Aufeinandertreffens von Trend und Gegentrend. Dazu führt er einige Beispiele anhand von Wortverschmelzungen auf, wie etwa: Freemium, Flexicurity, OMline, RealDigital, Coopetition, usw. Diese stehen exemplarisch für die Synergie aus zwei gegensätzlichen Trends. Beispielsweise ist Freemium ein Hybrid aus premium und free. Diese Wortneuschöpfung beschreibt ein inzwischen gängiges Phänomen zur Bepreisung von Produkten oder Services. Insbesondere bei Software wird dieses System oft genug. Dabei ist die Grundversion eines Produkts kostenlos, also free. Nutzer können ohne Kauf ein fertiges Programm nutzen. Für einen erweiterten Funktionsumfang, erweiterte Kapazitäten, eine höhere Anzahl an Nutzern, usw. wird jedoch die kostenpflichtige Premium Variante benötigt.
Vernetzung neu gedacht
Die einleitende Theorie überträgt Horx anschließend auf das Thema Konnektivität. Der Trend der Digitalisierung wird unter anderem verdeutlicht durch den steigenden Grad der Vernetzung. Jedoch stelle sich die Frage nach dem Sinn, wenn anstatt Menschen zunehmend immer mehr Geräte untereinander verbunden werden. Tristan Horx stellt daher die folgende These auf: Das Netz löst Verbindungsanfragen, aber keine Beziehungsfragen. Eher steige durch die sprunghafte Zunahme an digitalen Medien die Überforderung. Das Phänomen “Omline” sei die Folge. Das Zukunftsforschungsinstitut definiert dieses wie folgt:
“In einer zunehmend hypervernetzten, digital überreizten Welt wollen immer mehr Menschen ihre eigene mentale Souveränität wiederherstellen. Nicht, indem sie einfach abschalten, sondern indem sie lernen, digitale Medien achtsamer und sinnvoller zu nutzen. Ist „online“ die These und „offline“ die Antithese, so ist OMline die real-digitale Synthese: eine bewusste Selbstermächtigung für einen achtsam-souveränen Umgang mit einer vernetzten Realität.”
Real: Digital
Der “wahre Digital Hype Cycle” ergibt sich laut Horx aus dem Aufeinandertreffen vom Trend Digitalisierung und dem Gegentrend Rehumanisierung. In einer Rekursionsschleife mit mehreren Etappen wird eine Zukunft vorhergesagt, in der die Digitalisierung eng an realen Bedürfnissen und einer realen Unterstützung des Menschen ausgerichtet ist. Übertragen auf das Thema der Onlinekonferenz lässt sich eine klare Wegweisung ablesen. Gemäß des Zukunftsforschers werden digitale Themen nach wie vor eine Rolle spielen, aber in deutlich anderer Form. Anstatt die Welt zu digitalisieren der Digitalisierung willen, wird der eigentliche Nutzen für den Menschen wieder in den Vordergrund rücken. Die Digitalisierung wird folglich gezielter und effizienter durchgeführt. Mit diesen Voraussagungen schlägt Horx den gedanklichen Bogen letztlich zurück zum übergeordneten Thema: die Digitalisierung der Sozialwirtschaft. Dabei lässt er auf positive Entwicklungen für den Change Hub hoffen, als dass das junge Unternehmen genau diese Lücke zu schließen versucht. Die Sozialwirtschaft als wichtiger Teil unserer Gesellschaft braucht eine gerichtete Digitalisierung und eine gezielte Unterstützung durch neue Methoden und digitale Tools mehr als eine “Pauschaldigitalisierung”. Die Ziele der Change Hub GmbH werden demnach durch die Aussagen von Tristan Horx zusätzlich legitimiert.
Wie eine Zukunft aussehen kann, in der ein real-digitaler Lebensstil verfolgt wird, verdeutlicht Horx anschließend über verschiedene Projekte. Er nennt unter anderem das niederländische Demenzdorf de Hogeweyk. Dabei handelt es sich um ein, an die Bedürfnisse an Demenz erkrankter Personen, ausgerichtetes Wohnviertel. Digitale Unterstützung wird hier an vielen Ecken und Enden eingesetzt. Jedoch meist unsichtbar, wie etwa in Form von Sensoren, die automatisch Türen öffen und den Fahrstuhl in Bewegung setzen. Die Umgebung ist folglich in gewisser weise smart, aber nicht mit Technik überfrachtet, sondern dient einzig der Unterstützung der BewohnerInnen. Mit dem Verweis auf weitere Konzepte dieser Art, wie etwa die Buurtzorg Nachbarschaftspflege beendet Tristan Horx seine Keynote und regt damit aktiv zum Nachdenken über die Zukunft an. Wir waren von seinen aufschlussreichen Erläuterungen auf jeden Fall mitgerissen.
Thomas Ecke @Change Hub
Geht sozial auch digital?
Der zweite Teil der Auftaktveranstaltung war vor allem von der Podiumsdiskussion bestimmt. Eingeladen waren verschiedene Vertreter aus der Sozialwirtschaft, die sich zu verschiedenen Fragen der Moderatorin Christiane Stein äußerten. Unter ihnen waren Thomas Katzenmayer (Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Bank), Dr. Peter Neher (Präsident des Deutschen Caritasverbandes), Prof. Dr. Jutta Allmendinger (Präsidentin des Wissenschaftszentrums in Berlin für Sozialforschung) und Ulrich Lilie (Präsident der Diakonie Deutschland). Die Gäste berichteten von ihren eigenen Erfahrungen bei der Umsetzung der Digitalisierung. Sowohl der Präsident der Caritas, als auch der Diakonie sprachen mit Stolz über einige ihrer Aushängeprojekte, verwiesen aber auch auf die Bedeutung der menschlichen Komponente, die beispielhaft im Zuge der Pandemie oft zu kurz käme. Ihre Bestrebungen dennoch auf gezielte Digitalisierung setzen zu wollen, insbesondere im Bereich der Altenpflege, wurden unterstützt von den Aussagen von Jutta Allmendinger. Die Expertin erläuterte, dass in der jüngeren Vergangenheit die Akzeptanz unter älteren Menschen gegenüber Technik und Robotik stark zugenommen habe. Insgesamt entstand bei der Podiumsdiskussion der Eindruck, dass sich auf dem Weg zur Digitalisierung beide Seiten zunehmend annähern. Zum einen werden zunehmend technische und digitale Projekte verwirklicht, die einen tatsächlichen Mehrwert zu schaffen. Zum anderen steigt die Akzeptanz der betroffenen Personen in der Sozialwirtschaft.
Thomas Ecke @Change Hub
Fazit
Das Auftakt-Event im Change Hub hat uns einige interessante Einblicke in das Verhältnis zwischen Sozialwirtschaft und Digitalisierung gewährt. Insbesondere die Inhalte von Tristan Horx haben bei uns einen bleibenden Eindruck hinterlassen und machen Lust über die Gestaltung der Zukunft nachzudenken. Der Friedennobelpreisträger Prof. Muhammad Yunus, der das Schlusswort für die Veranstaltung übernahm, brachte es schließlich treffend auf den Punkt: “Wir können so viel erreichen – ich freue mich auf den Austausch”. Die Veranstaltung machte Mut die bevorstehenden Herausforderungen anzugehen und gemeinsam an einem Strang zu ziehen – ganz im Sinne der Social Impact Community.
Thomas Ecke @Change Hub
Wie stellt ihr euch die Zukunft vor?
Bleib gesund!
Kira & Ben