Book a Scientist – Das (Online-)Speeddating mit der Wissenschaft
Wie funktioniert das eigentlich? Kann mir das mal einer erklären? Die Antwort lautet: Ja! Denn auch dieses Jahr und trotz Pandemie fand die Veranstaltung Book a Scientist statt. Wer wünscht es sich nicht manchmal, einfach einen Experten fragen zu können? Dabei kann der Titel der Veranstaltung wörtlich genommen werden. Wer schnell genug ist, kann sich zwischen zahllosen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die interessantesten Gesprächspartner aussuchen. Das klingt zu schön um wahr zu sein? Ist aber so. Auch wir waren dieses mal dabei und haben uns unsere Fragen von den Forschenden beantworten lassen. Wie das ablief und wie du das nächste Mal auch teilnehmen kannst, erfährst du in diesem Beitrag.
Was ist book a scientist?
Im Rahmen der Berlin Science Week, über die wir letzte Woche berichtet haben, hat die Leibniz-Gemeinschaft zum dritten Mal das Veranstaltungsformat Book a Scientist – Das Speeddating mit der Wissenschaft veranstaltet. Die Leibniz Gemeinschaft verbindet 96 eigenständige Forschungseinrichtungen aus den unterschiedlichsten Ausrichtungen miteinander. Von Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften sind alle diese Fachrichtungen in der Gemeinschaft vertreten. Dabei arbeiten die Institute an gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Fragestellungen und betreiben auch in übergreifenden Forschungsverbünden erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung.
Die Vielfältigkeit der Leibniz-Gemeinschaft spielt sich auch in der Veranstaltung Book a Scientist wieder, die dieses Jahr über 60 Themen behandelt hat. 2018 und 2019 fand das Format im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften in Berlin statt. Besucher der Veranstaltung konnten vor Ort Termine für Gespräche mit Wissenschaftlern buchen, die unterschiedliche Themenschwerpunkte vorbereitet haben. In zwanzigminütigen Gesprächen konnten die Besucher ohne Vortrag oder Einleitung direkt ihre Fragen stellen.
Da dieses Jahr die Lange Nacht der Wissenschaften in Berlin aufgrund der Pandemie ausfiel, fand Book a Scientist erstmal digital statt. Durch einen Link konnten sich Wissenschaftler und Besucher digital in einen virtuellen Raum einwählen, wodurch der Aufwand deutlich geringer war, da auf eine lange Anreise oder etwaige Wartezeiten verzichtet werden konnte. Durch die digitale Lösung des Events konnten mehr Wissenschaftler aus dem Netz der Leibniz-Gemeinschaft eingebunden und mehr Themen behandelt werden. Dieses Jahr wurden 60 verschieden Themen aus ganz unterschiedlichen Bereichen vorgestellt. Dabei gab es kaum Themen, für die kein Gespräch gebucht wurde, sodass insgesamt 100 Gespräche gebucht wurden. Das Angebot an den Themen war sehr breit aufgestellt, wobei sich besonders die Digitalisierungsthemen und das Themenfeld Mensch-Natur-Ökosysteme an großer Beliebtheit erfreuten.
How to book a Scientist?
Organisation muss sein
Schon einige Wochen vor dem Event präsentierten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der Website der Leibniz Gemeinschaft. In einer langen Liste stellten die Referenten sich und ihr Forschungsgebiet in einer kurzen Beschreibung vor. Begleitet wurde diese durch mehrere Verlinkungen und Verweise auf ihre jeweiligen Forschungseinrichtungen, Projekte oder Publikationen. Oberhalb dieser Steckbriefe waren zusätzlich Uhrzeiten in halbstündigen Intervallen angezeigt. Diese repräsentierten die noch verfügbaren Zeit-Slots für ein persönliches Gespräch. Am Seitenanfang stand eine kurze Anleitung des Organisationsteams zur Anmeldung für einen Termin. Mit einer einfachen E-mail an das Organisationsteam konnte gewünschte Wissenschaftler gebucht werden.
Gesagt-getan. Nachdem wir uns intern auf zwei WissenschaftlerInnen geeinigt hatten, verschwendeten wir keine Zeit und meldeten uns mit unseren Wünschen bei den Organisatoren. Zu unserer großen Freude bekamen wir umgehend zwei positive Rückmeldungen. Damit waren unsere Termine bestätigt. Diese Form der Organisation bot den Vorteil, dass jedem Teilnehmer unmissverständlich ein verbindlicher Termin zugewiesen werden konnte. Das machte den Ablauf sowohl für die WissenschaftlerInnen, als auch für Teilnehmer und Organisatoren einfach.
Die Gespräche
Wie bereits angedeutet standen sehr viele Referentinnen und Referenten aus den verschiedensten Fachbereichen zur Auswahl. Wir hatten uns vorab darauf verständigt zwei Gespräche führen zu wollen. Aber welche? Von Finanzwesen bis Bioinformatik, von Demographieforschung bis Bildungswissenschaften, die Auswahl war sehr groß. Letztlich konnten wir uns auf zwei Themen einigen, die wir sowohl für die aktuelle Zeit für bedeutsam, als auch persönlich interessant fanden. Wir entschieden uns für:
Michael Koetter: “Green Finance: Entwicklungen, Herausforderungen und Chancen”
und
Katja Fels: “Schockbilder auf Zigarettenpackungen, Smileys in 30er Zonen, Opt-out bei der Organspende: Wie politisches Nudging wirkt”.
Green Finance – Was sich dahinter verbirgt und warum wir alle betroffen sind
Unser erstes Gespräch führten wir zum Thema “Green Finance”. Nachhaltigkeit ist das Thema unserer Zeit. Ob in den Themen Mode, Ernährung, Mobilität oder Energiegewinnung, ökologisches Handeln ist für viele zu einem Leitbild der Lebensgestaltung geworden. Warum sollte dieses Konzept dann nicht auch im Finanzwesen Anwendung finden können? Und was ist über green? Diese und einige weitere Fragen brachten wir mit zu unserem ersten Gespräch. Erwartet haben wir Einschätzungen zu grünen Finanzprodukte, Informationen darüber, wie Green Finance genutzt werden kann, um CSR-Berichte (Corporate Social Responsibility) zu verbessern oder Hinweise, wie Wachstumsbestrebungen dank Green Finance optimiert werden können. Doch weit gefehlt. Wie wir erfahren haben, ist Green Finance viel mehr als einfaches Greenwashing oder Gewinnmaximierung mit dem Alibi der Nachhaltigkeit. Eine einseitige Betrachtung wird dem Thema nicht gerecht. Die wesentlichen Erkenntnisse, die wir dazu gewinnen konnten, haben wir im Folgenden beschrieben.
Mit Transparenz zur Nachhaltigkeit
Begonnen haben wir unser Interview mit der Frage, warum der Trend des nachhaltigen Bankings in Deutschland nur schleppend voran geht. Im Gespräch haben wir erfahren, dass es dafür mehrere Ursachen gibt. Zum einen sind die Banken noch nicht ausreichend in die Segmente vorgedrungen, in denen es grüne Unternehmen gibt. Zum anderen ist aber auch die Nachfrage nach grünen Produkten bei den Banken noch relativ gering. Die alleinige Schuld auf die Trägheit der Banken abzuschieben, wird folglich der Realität nicht gerecht. Helfen würde ein einheitliches Rating nachhaltiger Produkte oder Unternehmen, um eine objektive Beurteilung zu ermöglichen. Dadurch würde das Kreditrisiko sinken und Bereitschaft in grüne Unternehmen zu investieren steigen.
Schön und gut, dachten wir uns. Aber wie viel Einfluss sollte die Politik denn überhaupt auf die Entwicklung des nachhaltigen Bankings haben? Die kurze Antwort lautet: möglichst wenig. Die Instrumente, die der Politik zur Verfügung stehen, sollten vor allem dafür genutzt werden, um Transparenz zu schaffen. Es ist wichtig nachvollziehbare Kennzahlen zur Verfügung zu haben, um die Vergleichbarkeit zwischen grünen und vermeintlich nicht nachhaltigen Unternehmen herzustellen. Das könnte beispielsweise mittels eines verbindlichen Greenreportings für Unternehmen gelingen. Das Ziel sollte es demnach sein die Informationsasymmetrie so weit es geht aufzuheben.
Was kann der Einzelne bewirken?
Green Finance spielt nicht nur eine Rolle für Banken oder Investmentunternehmen. Insbesondere für private Anleger könnten grüne Produkte eine gute Alternative darstellen. Deshalb wollten wir wissen, welche Rolle Privatpersonen bei der Entwicklung von Green Finance spielen. Die Beantwortung dieser Frage hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir unsere Sicht auf die Thematik überdenken mussten. Denn Privatpersonen haben nicht nur als Anleger einen Einfluss auf Green Finance bzw. die Nachhaltigkeit der Wirtschaft. Sie treten als unterschiedliche Akteure in Aktion. Sie wählen nicht nur die Geldanlage, sondern auch den Arbeitgeber, die Produkte, die sie konsumieren und den Lebensstil, den sie verfolgen. Erst die Summe aller Aktionen beschreibt den Einfluss von Privatpersonen. Green Finance ist in seiner Gesamtheit, nach diesem Verständnis, nicht auf den Bereich Finance beschränkt. Anstatt die Thematik auf Banken und Finanzprodukte einzuengen, muss vielmehr die Gesamtheit des Handelns des Einzelnen berücksichtigt werden, wenn der Einfluss auf Green Finance betrachtet werde soll. In andere Worte gefasst bedeutet das, dass dem Einzelnen ein durch seine individuellen Entscheidungen ein großer Einfluss zukommt.
Green Finance in der Zukunft
Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf wollten wir abschießen wissen, ob das Thema Green Finance in der Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird. Wie wir erfahren haben ist es derzeit sehr schwer eine klare Prognose für die Zukunft abzugeben. Auch wenn eine grundlegende Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit wünschenswert ist und die Generation, der unter 30-Jährigen diese überwiegend begrüßt, geht der Wandel nach wie vor sehr schleppend voran. Das ist auch damit begründet, dass eine weitreichende Umgestaltung der Gesellschaft und Wirtschaft durch eine Mehrheit legitimiert werden muss. Eine vollständige Neugestaltung der Gesellschaft vollzieht sich folglich nur langsam und nicht in wenigen Jahren, als vielmehr über Generationen hinweg. Mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen und die Notwendigkeit eines Wandels wurde uns gegenüber zuletzt die Einschätzung geteilt, dass Die Erfolgschance auf einen adäquaten Umbau des deutschen Systems in wenigen Jahren lediglich bei 25% liegt.
Mit dieser mahnenden Einschätzung neigte sich unsere Gesprächszeit leider schon dem Ende. Gerne hätten wir weiter über die Möglichkeiten und Folgen von Green Finance gesprochen, aber ein Speeddate ist nun mal kein Marathon.
Nudging – Was bedeutet der “Stubs” für unser Verhalten?
In dem zweiten Gespräch, mit Katja Fels vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, ging es um das Thema Nudging. Da wir zuvor von diesem Thema noch nichts gehört hatten, waren wir hier besonders gespannt auf das Gespräch. Nudges (engl. to nudge = stubsen) sind kleine Veränderungen in der Entscheidungsumgebung, die das Verhalten von Menschen beeinflussen. Ein Beispiel hierfür ist der Smiley in 30er Zonen, der aufblinkt, wenn der Fahrer sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält.
Aus dem Gespräch haben wir mitgenommen, dass Nudges Anreize für ein bestimmtes Verhalten schaffen. Sie können positiv für gewünschtes Verhalten und negativ für unerwünschtes Verhalten wirken, ohne die Entscheidungsfreiheit einzuschränken. Die Akzeptanz von Nudges hängt jedoch maßgeblich davon ab, ob die betroffene Person den Eindruck hat, dass der “Stubs” von der Mehrheit der Gesellschaft akzeptiert wird. Breite Bekanntheit erlangte der Begriff Nudge in dem Buch “Nudge: Wie man klug Entscheidungen anstößt” von Cass Sunstein und Richard Thaler aus dem Jahr 2008 auf.
Wie funktioniert der “Stubs”?
Die Frage weshalb Nudges überhaupt funktionieren hat Daniel Kahneman in seinem Buch “Schnelles Denken, langsames Denken” erklärt. Kahneman unterscheidet unser Denken in zwei Systeme. Das erste System beschreibt das schnelle Denken, welches im Unterbewusstsein intuitiv abläuft. Wir setzen es nicht bewusst ein wie z.B. beim Multiplizieren von 2×2. Das zweite System ist für das langsame Denken verantwortlich, welches komplexe kognitive Ausführungen sind. Hier müssen wir unser Denken aktiv steuern. Um beim Beispiel mit der Rechenaufgabe zu bleiben, fällt es uns schwerer 16×23 im Kopf auszurechnen, wir müssen uns hierfür anstrengen. System 1 ist immer aktiv und produziert fortwährend Lösungsvorschläge für unsere Entscheidungen, die wir jeden Tag treffen. System 2 muss von uns bewusst aktiviert werden. Es kontrolliert die Lösungsvorschläge von System 1 auf Plausibilität. Ein Beispiel wie wir von System 1 geleitet werden wäre folgende Situation: Wir kaufen bspw. das günstigste Elektronikgerät, obwohl dieses mehr Strom benötigt und langfristig höhere Kosten entstehen würden. Der kurzfristige Nutzen wird dabei höher eingeschätzt als der langfristige. Im Alltag werden wir von unserer Intuition geleitet, wir handeln nach unseren Präferenzen. Beim Nudging wird unsere Intuition gebremst, indem wir durch den “Stubs” unsere Präferenzen ändern und bewusst anstatt intuitiv handeln. Durch kann erreicht werden, dass wir unser Verhalten ändern.
Wie Nudging dir helfen kann deinen inneren Schweinehund zu überwinden
Der soziale Vergleich ist ein weiteres Mittel, um Entscheidungen zu beeinflussen. Ein Beispiel hierfür ist die Internetseite stickk.com. Hier können die Nutzer Verträge mit sich selbst abschließen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Sie erhalten Erinnerungsmails zum Vertrag und können eine Person benennen, die das Vorhaben am Ende bewertet. Wer noch ein Schritt weiter gehen möchte kann Geld auf den eigenen Vertrag setzen. Wird der Vertrag nicht eingehalten so wird das Geld an eine Charity Organisation gespendet. Dabei kann man noch ein Schritt weiter gehen, indem das Geld eine Organisation gespendet wird, die man nicht mag. Das ganze System funktioniert aufgrund der Verlustaversion. Dabei werden die Verluste höher gewichtet als die Gewinne. Wir ärgern uns mehr darüber, wenn wir das Geld verlieren, anstatt was wir es bei Vertragserfüllung wiederbekommen.
Das Gespräch hat uns Denkanstöße gegeben und motiviert häufiger auf Nudges in unserem Alltag zu achten. Wir hätten auch bei diesem Thema gern länger gesprochen, aber die Zeit ist nun mal limitiert.
Wir freuen uns aber jetzt schon auf nächstes Jahr und die nächste Ausgabe von Book a Scientist. Wir sind auf jeden Fall dabei!
Fazit: Nächstes Jahr auf jeden Fall wieder
Wir haben zum ersten Mal an Book a scientist teilgenommen und sind begeistert. Die Anmeldung lief unkompliziert und besonders beeindruckt sind wir von den Erkenntnissen, die wir aus unseren beiden Gesprächen ziehen konnten. Wir können das Format jedem Wissenschaftsinteressierten empfehlen und sind gespannt ob es die Veranstaltung nächstes Jahr sogar wieder analog geben wird. Wir werden nächstes Jahr auf jeden Fall wieder dabei sein und freuen uns schon auf die nächste Ausgabe.
Hast du dir auch einen Wissenschaftler gebucht?
Erzähl uns davon!
Kira & Ben
PS: 16×23 ist übrigens 368 😉